Heaven

Den Himmel berühren; Artikel von David Lauterstein

Der Himmel kann wissenschaftlich nicht nachgewiesen werde. Wir wissen jedoch, dass während einer Sitzung – ob wir sie nun bekommen oder geben – der Himmel manchmal erscheint. Segen kommt über uns und unsere Klienten werden beschenkt mit tiefen Einsichten, Visionen, emotionalen Durchbrüchen, mit aussergewöhnlichen energetischen Erfahrungen und neuen Ebenen der Integration von Körper, Seele und Geist. Es ist weder unsere Aufgabe noch unser Ziel, Menschen zu aussergewöhnlichen Erlebnissen zu verhelfen. Aber jeder Therapeut hat schon Momente erlebt in denen ihn die Kraft der Körperarbeit mit Ehrfurcht erfüllte. Es ist unser Privileg, dabei sein zu können und eine Hebammenrolle zu übernehmen bei der Geburt neuer Erfahrungen.

Vor nicht allzu langer Zeit arbeitete ich mit einer Psychotherapeutin, die lange und hart an einem wichtigen Unternehmen gearbeitet hatte. Es war eine Zero Balancing Sitzung mit klar gehaltenen Druckpunkten, Zügen und Rotationen um ihr das Gefühl von innerem Raum zu geben. Ich arbeitete entspannt, mit vielen Pausen, um das Gefühl von „alle Zeit der Welt“ entstehen zu lassen. Als ich geendet hatte, war sie lange Zeit still. Sie atmete leicht und schien immer noch ihre inneren Welten zu erforschen. Dann sagte sie: „das war unglaublich“. Wieder war sie wieder still für noch längere Zeit und sagte dann: „das war mehr als unglaublich“.

„Mehr als unglaubliche“ Erfahrungen erleben zu dürfen gehört zu den faszinierendsten Aspekten der Arbeit als Körpertherapeut. Leider werden diese Erfahrungen viel zu wenig besprochen, ja es gibt nicht einmal allgemein gültige Ausdrücke dafür. Dieser Artikel möchte einen Schritt aus diesem existentiellen Versteck hinaus führen und klar und deutlich sagen: Massage und Körperarbeit bringt uns oft an die Grenzen der menschlichen Vorstellungen und darüber hinaus.

Die Wichtigkeit des „mehr als Unglaublichen“.

Warum wird diese aussergewöhnliche Wirkung von Körperarbeit so selten diskutiert? Ein Grund könnte sein, dass es schwierig ist, dieses „mehr als Unglaubliche“ in Worte zu fassen. Es ist eine nonverbale Erfahrung. Für viele mag eine Beschreibung, wie ekstatisch eine Massage sein kann, albern scheinen. Auch sind viele Klienten zu scheu oder meinen, es sei anmassend über ihre spirituellen Erlebnisse zu reden. Therapeuten hingegen fürchten ihre medizinische Glaubwürdigkeit aufs Spiel zu setzen. Krankenversicherungen bezahlen nicht für „mehr als Unglaubliches“. Auch in unseren Schulen und Ausbildungen hat es kein Programm für das Ausserordentliche. Es wird gesellschaftlich nicht als Heilungsziel anerkannt.

Wie auch immer, wir müssen die Schwierigkeiten und Widerstände überwinden, die uns daran hindern , über das „mehr als Unglaubliche“ in unserer Arbeit zu sprechen und es zu entwickeln. Wir müssen seine Bedeutung für die Massage- und Körperarbeit heraus arbeiten. Ich glaube, dass es einen tiefen Bezug dazu gibt, dass die Menschheit die Möglichkeit hat, Grenzen zu überschreiten, und zwar nicht nur technische. Wir brauchen auch Fortschritte in den Bereichen von Geist, Gefühl, Spiritualität und Körper.

Wirkliche Gesundheitsvorsorge.

Was ist der Bereich des „mehr als Unglaublichen“? Wozu lässt es sich anwenden? Wie können wir es erforschen als Massage Therapeuten und als Menschen? Wie wichtig ist es für unsere heutige Welt?

Im Gegensatz zur klinischen Ausrichtung ist Massage nicht nur eine medizinische Anwendung. Bei einem Klienten mit zum Beispiel, einer Tendinitis des Supraspinatus werde ich mich vielleicht 5 – 10 Minuten auf den Muskel konzentrieren. Aber den Grossteil der Sitzung werde ich dazu verwenden, die Wahrnehmung des Klienten seiner Körperhaltung und seiner Energie zu steigern. Ich möchte nicht, und die wenigsten der Therapeuten wollen den Klienten sagen hören: „was für eine gute Massage“. Ich möchte, dass meine Klienten sagen: Wow, ich fühle mich wunderbar!“ In der Schulmedizin gehe ich nicht zum Arzt und frage ihn am Ende der Konsultation, ob ich nächste Woche wieder kommen darf. Aber bei einem guten Körpertherapeuten werde ich genau das tun. Weil die Erfahrung so erfreulich war, (und Symptom vermindernd) möchte ich mehr davon.

Obwohl die Schulmedizin allgemein als Gesundheitsvorsorge gilt, ist sie doch eher Symptombekämpfung. Dieses System der Symptombekämpfung, die enge klinische Ausbildung und die Versicherungsindustrie haben weder Zeit noch die Absicht Gesundheit zu erforschen. Zwar sind wir alle dankbar für diese hoch qualifizierte lebensrettenden Fortschritte in der Schulmedizin. Viele von uns wären heute nicht mehr hier, wenn wir nicht von den enormen Erkenntnissen der Schulmedizin profitiert hätten. Aber das Ziel unseres Lebens ist nicht nur Überleben, und dies sollte auch nicht das Ziel unserer Medizin sein.

Körperarbeit ist ein spezifischer Gesundheitsweg. Sie bewirkt nicht nur dass Symptome in Muskulatur und Skelett verschwinden, sondern dass sich der Klient allgemein anders und besser fühlt. Wir praktizieren die einzige Form von Gesundheitsvorsorge, die den ganzen Menschen anspricht und nicht nur einen Teil von ihm. Nach einer Massage der Körper eines Klienten fühlt sich leichter und grösser an, strahlender und lebendiger. Der Klient fühlt sich verbunden mit sich selber, mit den Menschen und mit seiner Umgebung. Körperarbeit verstärkt die Gesundheit auf einzigartige, unglaubliche Weise.

Körperarbeit und Massage wirken auch als Zuwendung – die menschliche Hand ist das wichtigste Instrument für die direkte Übertragung von Anteilnahme. Alles was wir brauchen, ist eigentlich Liebe. Auf Grund der einzigartigen Qualitäten der menschlichen Berührung, ist Körperarbeit der beste Ausdruck von Liebe im ganzen Gesundheitssystem. Man kann die Liebe nicht aus der Berührung entfernen ohne einen ertastbaren Verlust an Geistesqualität.

Es ist das kostbare Grundrecht der Massage und der Körperarbeit, den Bereich von Gesundheit und Zuwendung auf einmalige und grossartige Weise erforschen und ausdehnen zu dürfen.

Strukturelle und energetische Gesundheitsvorsorge.

Massage hat klinische Wirkung und kann durchaus im Zusammenhang mit der Schulmedizin benutzt werden. Wir helfen den Faszien sich zu verweben, wir beeinflussen die Zirkulation und wir helfen den Muskeln, Bändern und Sehnen wieder zu heilen. Wer genügend Erfahrung hat, kann eine neue Haltung und andere Bewegungsabläufe unterstützen. Indem wir das autonome Nervensystem beeinflussen, können wir Stress vermindern und seine negativen Einflüsse auf das Verdauungsystem, Atmung, Herzfrequenz, Zirkulation und den Lymphfluss. Das alles und mehr sind mechanische Folgen der Massage. Wäre das alles, was wir tun können, hätten wir schon ein wunderbar umfassendes medizinisches Hilfsmittel.

Aber schauen wir uns doch die Energie an. Offen gesagt, wir machen die Menschen glücklicher. Wir helfen ihnen, Stress und Verwirrung los zu lassen. Mit genügend Erfahrung und Einfühlungsvermögen können wir den Klienten auch dabei unterstützen, chronische Verspannungen, die durch überholte emotionale Haltungen und Glaubenssätze entstanden sind, abzubauen. Wir regen den internen Fluss und die Balance an, die Meridiane, Chakras, Nadis, Energiezentren, wie immer man sie nennen will. Wir steigern die Lebensfreude des Klienten. Durch die spezielle Verbindung über die Berührung helfen wir den Menschen das Wissen zu erlangen, dass sie nicht alleine auf der Welt sind. Sehr oft, während einer Sitzung macht der Klient die direkte Erfahrung von psychophysischer Gesundheit, und damit zu einer neuen Vision davon, wie anders dieses Leben sein könnte, wie jeder von uns teilnehmen könnte, am Himmel auf Erden. Wenn du deiner Seligkeit folgen möchtest, gehst du am besten mit deinem Therapeuten in den Behandlungsraum.

Berührung ist ein Wunder.

Die menschliche Berührung ist das höchst entwickelte physische Werkzeug im bekannten Universum. Wir sind nicht in der Lage etwas zu konstruieren, das so funktioniert wie die Haut der Hand. Schon gar nicht etwas, das mit der gleich feinen Empfindung, Intelligenz und der motorischen Komplexität des menschlichen neuromuskulären System durch die Hand arbeitet.

Die Berührung ist auch der einzige Weg, zwei Energiesysteme in direkten Kontakt miteinander zu bringen. Das Bild von Michelangelo, das Gottes und Adams Hände darstellt, hat die bleibende Kraft, uns daran zu erinnern, dass wir den Lebensfunken miteinander teilen.

Jedes Mal, wenn wir unsere Hand bewusst und mit Druck auf den menschlichen Körper legen, vereinen wir die Struktur- und die Energiewelten auf die einzig mögliche Art. Die menschliche Berührung ist die einzige Verbindung im bekannten Universum in der gleichzeitig und bewusst Struktur uns Energie angesprochen werden.

Berührung ist Ekstase.

Berührung ist die ekstatischste Form von Heilung und Medizin. Ekstase kommt vom Latein: aus der Stasis (Starre). Die Berührung und Bewegung hilft uns, aus der Starre heraus zu kommen. Sie hilft uns auch, über unser normales Selbst hinaus zu wachsen. Niemand kann sich verändern ohne neue Erfahrungen. Der Therapeut, der uns helfen kann, Spannungen los zu werden, die wir selber nicht lösen konnten, öffnet uns auch für neue Erfahrungen.

Ich sah einmal ein T-shirt auf dem stand: Vergiss deine Arbeit, vergiss deinen Chef, vergiss deinen Namen“. Ich habe viele Male auf einem Massagetisch gelegen und innert wenigen Minuten alle meine Probleme vergessen. Auf der Liege machen wir Ferien von unserem Alltags-Selbst und von der Alltags-Welt. Die grosse englische Psychotherapeutin Marion Milner sagte: “ Alles wirklich Lebendige muss EINE Beziehung beinhalten, nämlich immer wiederkehrende Momente der Hingabe an das Nicht-Selbst.“ Und genau diese Beziehung entsteht durch Massage und Körperarbeit.

In unserer Gesellschaft herrscht eine tiefe, unerfüllte Sehnsucht nach Ekstase. Unglücklicherweise suchen wir Erfüllung in minderen Formen, von denen viele in die Sucht führen: Drogen, Alkohol, Fernsehen, Essen. Körperarbeit ist eine der wenigen gesellschaftlich akzeptierten Möglichkeiten, tiefe ekstatische Momente zu erleben. Deshalb ist es unser Ziel und unsere Aufgabe, diese zu erforschen. Es ist auch unsere Verantwortung, dass diese ekstatischen Reisen, die durch Körperarbeit ausgelöst werden können, nicht zu narzistischen Ausflügen verkommen. Nicht nur einige wenige, sondern jedermann sollte die Möglichkeit haben, diese ekstatische Berührung erleben und erlernen zu können.

Berührung ist Kunst und Wissenschaft zugleich.

Wenn wir uns in der Welt der Struktur bewegen, beschäftigen wir uns mit angewandter Wissenschaft und benötigen Kenntnisse der Anatomie und der Physiologie. Sobald wir aber die Welt der Energie in unsere Arbeit mit einbeziehen, müssen wir auch die Ebenen der Psyche, des Geistes und des Unerklärlichen kennen und respektieren.

„Haptisch“ ist das Wort für kinästethisches Erfühlen der Realität, womit unsere direkte Erfahrung der Welt durch Druck, Temperatur, Selbstbeobachtung und Gleichgewicht gemeint sind. Normalerweise bedeutet für uns „Kunst“ etwas, was wir sehen oder hören können. Aber letztendlich ist „Kunst“ eine Körpererfahrung, die sich durch „Hühnerhaut“ ausdrückt, als „herzerwärmend“ bei einer schönen Melodie oder als Begeisterung bei einem schönen Text. Als kreative Körpertherapeuten haben wir das Privileg, direkt mit dem menschlichen Körper, dem Geist und der Seele arbeiten zu können – nicht mit Farben, Tönen oder schönen Worten. Wir sind Künstler und unser Medium ist der wunderbarste lebende Organismus des bekannten Universums. Somit ist Körperarbeit die höchste aller Kunstformen.

Der Akkupunkteur J.R. Worsley schrieb, dass Gesundheitsvorsorge drei Gebiete anspricht: Krankheit, Veranlagung und Schicksal. Als Körpertherapeuten möchten wir die anatomischen und physiologischen Leiden bessern. Aber wir fordern auch die Veranlagungen heraus. So können wir z.B. einer aufgeblasenen Persönlichkeit helfen, ein realistischeres Selbstgefühl zu entwickeln. Oder wir können mit Mitgefühl, Berührung und rechtem Timing ein chronisch gebrochenes Herz heilen. Zudem können wir Geburtshelfer für das Schicksal werden. Wer wirst du bei voller Gesundheit sein? Jeder Therapeut hofft, dass sich seine Klienten nicht nur besser fühlen, sondern dass sie auch die Einschränkungen beseitigen können, die sie an der Selbstverwirklichung hindern.

Schicksal ist sowohl individuell als auch kollektiv. Wenn ein Mensch seine Erfüllung gefunden hat, ist er von Natur aus weniger auf sich selbst bezogen. Somit breitet sich Gesundheit nicht nur im Individuum immer mehr aus, sondern auch in der Gesellschaft. Die Heilung einer Krankheit hängt von der Immunität ab, Schicksalserfüllung aber braucht und stärkt gleichzeitig die Gemeinschaft.

Es ist das Schicksal der Menschheit sich durch das Geschenk des verkörperten Bewusstseins weiter zu entwickeln. Aber immer noch suchen wir uns einen Weg durch eine schwierige Vorgeschichte. Lasst uns das Geschenk der bewussten Berührung nutzen um dem Leben, der Freiheit und dem Glücklichsein Priorität einzuräumen vor der Jagd nach Profit und materiellem Gewinn. Berührung erinnert uns immer wieder daran, dass wir durch Beziehungen Freude erfahren und nicht durch materiellen Erwerb. Beziehungen entwickeln ist ein wesentlicher Bestandteil de Körperarbeit.

Was können wir tun?

Wir müssen die Trennung von struktureller und energetischer Arbeit aufheben. Die evolutionäre Kraft liegt weder in der strukturellen noch in der energetischen Arbeit allein, sonder nur im Vereinigen der beiden. Lasst uns unsere Geschichten über „mehr als unglaubliche“ Erfahrungen von beiden, Therapeuten und Klienten erzählen. Das Bemühen, dass neue Erfahrungen ihren Weg in die Sprache und in das kollektive Bewusstsein finden, ist äusserst wichtig. Wir sollten aber auch selbstkritisch sein. Wir sind nicht gute Wissenschaftler, wenn wir die Energiearbeit nicht verteidigen können gegen das Wunschdenken von gewissen Anhängern. Gleichzeitig müssen wir den Klinikern widerstehen, die den Umfang unseres Betätigungsfeldes durch die Versicherungsgesellschaften zu bestimmen versuchen.

Wir können Lehrpläne entwickeln, die auf der westlichen Psychologie und den traditionellen Weisheiten des Osten basieren. So hat z.B. die Lehre über die Chakras fassbare Zusammenhänge zu bestimmten Lebensfunktionen. Niemand sollte eine Massageschule abschliessen, ohne dass er gelernt hat, welch wichtige Funktion der Herzbereich beim Heilen spielt.

Schlussendlich können wir aufhören damit, Gesundheit als persönliches Eigentum des Individuums zu betrachten. Lasst uns die narzistische, Vitamin orientierte Tendenz gewisser Gesundheitsmagazine bekämpfen. Gesundheit ist Verhalten und hängt weitgehend davon ab, wie wir gegenseitig miteinander umgehen, aber auch, wie wir uns selber behandeln. Wir müssen selber die nötigen Schritte unternehmen um diese Welt gesund zu machen.

Die Biologie vom Himmel auf Erden.

Wir sind ein Traum, den die Materie seit Urzeiten geträumt hat. Durch das Wunder der Berührung erreichen wir die Verbindung von Kunst und Wissenschaft, die Integration von Struktur und Energie und das bewusste Erleben von Ekstase. Es ist unsere Verantwortung als Körpertherapeuten die himmlischen und irdischen Träume, die Berührung enthält, zu erkennen. Es ist unsere Aufgabe, diese Träume wahr werden zu lassen. William Blake sagte:“ Kunst und Wissenschaft könne nur in kleinen, organisierten Einzelheiten existieren“. Ich hoffe, dass dieser Artikel uns alle veranlassen kann, noch mehr Ideen und Systeme zu entwickeln, die zu der Kunst und der Wissenschaft Mensch zu sein, beitragen.

Bibliografie:
Field Joanna: An Experiment in Leisure.
Johnson Robert: Ecstasy, Understanding the psychology of joy.
Lauterstein David: Putting the soul back into the body.
Lauterstein David: The seven dimensions of touch.

Bemerkung des Autors: In diesem Artikel werden die Begriffe „Massage“ und „Körperarbeit“ gleichwertig für sämtliche Therapien verwendet, welche mit Berührung oder Bewegung arbeiten.

David Lauterstein ist Mitbegründer der Lauterstein-Convey Massage School in Austin, Texas. Seit fast 30 Jahren arbeitet er mit Massage und Körpertherapien und hat mehrere Bücher und Artikel veröffentlicht.

Beitrag teilen